"Selbstportrait als Jüdin": Family Memory, Gender and Cultural Self-Understanding in Barbara Honigmann's Autobiographical Stories

Dieser Beitrag setzt es sich zum Ziel, den Zusammenhang zwischen Familiengedächtnis, Gender und kulturellem Selbstverständnis in Barbara Honigmanns Prosa zu untersuchen. Die Genealogie der deutsch-jüdischen Geschichte, die in Roman von einem Kinde (1986), Eine Liebe aus nichts (1991) und Damals, dann und danach (1999) fiktional erarbeitet wird, zeigt, inwieweit der Transfer traumatischer Erfahrungen durch den Holocaust sich in besonderem Maße im Kreis der Familie vollzieht. Aus den angebotenen Identitätsfragmenten der verschiedenen Generationen ihrer Familie versucht die Ich-Erzählerin in Honigmanns Werk ihre eigene jüdische Identität, ihre Identität als deutsch-jüdische Frau und Mutter immer wieder neu zu konstruieren. Die Erfahrung der Mutterschaft macht die Ich-Erzählerin in den drei ausgewählten Prosabänden besonders sensibel für das Nachwirken des Holocaust und das Weiterwirken des Antisemitismus. Ausgehend von Marianne Hirschs Theorie der ‚Postmemory‘ und Harald Welzers Konzept des ‚Familiengedächtnisses‘ soll der Frage nachgegangen werden, wie die Tradierung von Geschichtsbewusstsein im fiktionalen Werk Honigmanns problematisiert wird. Honigmanns Erzählungen weisen dabei eine kritische Distanz zum Familiengedächtnis der Eltern und Großeltern auf und gleichzeitig eine tiefgehende Verbundenheit mit ihnen. Dieses Familiengedächtnis reflektiert tatsächlich ein unruhiges Oszillieren zwischen Brüchen und Kontinuität in der Repräsentation der deutsch-jüdischen Geschichte. Die Brüchigkeit der Geschichtserfahrung geht mit einer Identitätsunsicherheit einher, die sich auch in der Randposition der nomadischen Lebenslage der autobiographischen Ich-Erzählerin zwischen Berlin und Straßburg widerspiegelt.